Erinnerungen an Puschdorf

von Lothar Pauls (aus Puschdorf)

Gelegen in des Pregels Nähe,
fast an der Reichsstraß' Nummer eins,
und wenn man auf die Karte sähe
in den Insterburger Kreis,
dann fänd man Puschdorf in der Ecke,
ganz links, an wicht'ger Eisenbahn,
Station an der Europastrecke.
Nein, nein, das ist kein Größenwahn.
Wer von Paris nach Moskau wollte,
fuhr über Puschdorf - war mal so.
Wie's heute ist, kann ich nicht sagen.
Vielleicht fahr'n die Züge anderswo.

Und will man noch genauer wissen,
wo Puschdorf wohl zu finden war,
vier Linien hab ich angerissen,
die machen Puschdorfs Lage klar:
Kiekopp mit Bauer Powilleit,
das war das Dorfende im Norden.
Piater Wäldchen dann in West.
Was aus dem Wäldchen wohl geworden?
Brennholz oder steht's noch fest?
In Süd das Haus bei Toteneichen,
im Osten war's die Ziegelscheun',
und in dies so umriss'ne Viereck
paßte das ganze Puschdorf rein.

Mein Puschdorf, du bleibst unvergessen,
solange Leben in mir ist.
Immer hast du mein Herz besessen,
Heimat du mir heut' noch bist.
Mit deinen Häusern, deinen Gärten,
den Straßen, die mir so vertraut,
mit Reichenhof, den Bullenbergen,
dem Hochstand, so stabil gebaut.

Puschdorf, geliebtes Heimatdorf,
ich seh dich noch, wie du einst lebtest,
mit Bauernhöfen, Schule, Gut,
mit fleiß'gen Menschen du dich regtest.
Erinnerung, wie weh sie tut.
O Puschdorf, Heimat, bist so fern,
ich träumte oft vom Wiedersehen.
Durch deine Straßen wollt' ich gern
noch einmal, um mich schauend, gehen.
Zwei Grenzen zwischen dir und mir
unüberwindbar lange Zeit.
Doch endlich nun kann ich zu dir.
Wie hab' ich mich darauf gefreut.

Jetzt ist's soweit, das Herz schlägt laut,
ich komme vom Kiekopper Norden.
Den Augen hab ich nicht getraut;
Puschdorf, was ist aus dir geworden!
Wie oft kam ich in jungen Jahren,
ob Sommer oder Winterzeit,
von Reichenhof per Rad gefahren.
Bis dorthin war es gar nicht weit.
Im Sommer konnte man dort baden,
im Winter Schlittschuh laufen schön.
Ich habe Puschdorf, von dort kommend,
viel hundert Male wohl gesehn.
So hat das Bild von Puschdorf sich
aus Richtung Norden eingeprägt.
Doch dieses Bild, das seh ich nicht,
obwohl ich suche unentwegt.
Viel Grün seh ich, doch keine Häuser,
wo ist das hohe Haus von Schmidt?
Die Wiedersehensfreud' wird leiser.
Ich seh auch Post und Bernsdorf nicht.
Auch August Schulzes lange Scheune,
das Haus, wo Grete Rohde wohnte,
und vieles noch, so wie ich meine,
von weitem man sonst sehen konnte.
Das alles gibt es nun nicht mehr.
Krieg, Nachkrieg rissen vieles nieder,
viel Hofstellen sind öd und leer,
mein Puschdorf find ich nicht mehr wieder.

Jetzt ist das Elternhaus zu sehen.
Von weitem schon sieht's traurig aus.
Ich gehe näher, bleibe stehen
und find verwahrlost Hof und Haus.
Des Hauses Straßengiebel fehlt,
der Haupteingang ist zugemauert.
Ich hatt's mir anders vorgestellt,
nachdem's den Krieg hat überdauert.
Scheune und Einfahrt sind verschwunden,
der Stall ist nur noch halb so hoch.
Die Hausbewohner laß ich dann
die Ansichtskart' von Puschdorf sehn.
Die Frage kommt: "Das war dies Haus?
O bosche moi, wie war es schön!"
Und traurig geht mein Sinn zurück
ins unzerstörte Heimatland.
Ich werfe schmerzvoll einen Blick
dorthin, wo das Zuhause stand,
wo wir die Kindheit froh verbracht
und unbeschwert zur Schul' gefahren,
wo wir auch Dummheiten gemacht,
wo wir ganz einfach glücklich waren.

Die Schmiede in des Dorfes Mitte,
und Pferde stehen vor dem Tor.
Ich komm zurück von einem Ritte
und stell mein Pferd dem Meister vor.
"Ich sehe", sagt dann Meister Haase,
"die beiden Eisen vorne fehlen.
Nun los Gerdt, zum Balg und blase,
die Glut muß sprühen und nicht schwelen."
Wie oft hab ich hier zugeschaut,
wenn Pferde wurden neu beschlagen.
Ach stünd die Schmiede doch noch heut,
wie damals in den Kindertagen.
Dann hört ich hell den Hammer klingen
auf jenes Amboß' hartem Stahl,
die Funken würden wieder springen.
Doch nichts ist mehr. Es war einmal.

Denk an die Kindheit ich zurück,
seh ich die Schule vor mir stehen.
Täglich übern Mühlengraben
mußte zum Unterricht ich gehn,
vorbei an Buchsteiner und Paegert,
das Pfarrhaus vor mir im Visier.
Vor acht war ich dann in der Klasse,
Paul Gwiasda stand schon in der Tür.
Die Holzbänke nur rund acht Plätzen
und deshalb gut vier Meter lang
war'n nicht nur Mobiliar zum Setzen,
auch Laufsteg war so eine Bank.
Denn wer nicht gerade saß am Ende,
der mußte, um nach vorn zu gehn,
auf so'ne Bank hinauf behende.
Kein andrer Weg war so bequem
als dicht vorbei an Po und Lende
der andren Schüler auf der Bank.
So lernten wir das Laufstegtänzeln,
das wenigstens vier Jahre lang.
Die Schule heute? Armes Haus!
Der stolze Backsteinbau von einst,
der sieht doch sehr verändert aus.
Das ob're Stockwerk scheint verwaist,
der Eingang ist nicht mehr zu kennen,
häßlicher Anbau hier und dort,
man möcht es nicht mehr Schule nennen.
Recht traurig geh ich weider fort.
Wie warst du, Schule, mir stets teuer,
lernte ich hier doch schreiben, lesen.
Mit jenem ehrwürd'gen Gemäuer
ein Wiedersehn wär schön gewesen.

Der Bahnfof - wichtiges Gebäude -
verbindet Puschdorf mit der Welt.
Wie oft wohl hab ich ihn betreten,
habe es niemals je gezählt.
Nach Wehlau hin zur Schul' gefahren
acht Jahre lang tagein, tagaus.
Der Bahnhof war für uns Scholaren
vertraut schon fast wie ein Zuhaus'.
Er steht noch da. Fast so wie damals
ist er von außen anzusehn.
Doch drinnen hat sich viel verändert,
nicht mehr vertraut und nicht mehr schön.
Im Geist seh ich die Freunde warten
des Morgens etwa um halb acht.
Wir wollen in die Schule starten,
die Hausaufgaben sind gemacht.
Da stehn sie nun: Marra und Hannes,
Jack, Gerhard und Willi Dignat.
Wir schaffen's ganz bequem zur Schule,
wenn der Zug nicht Verspätung hat.
Am Nachmittag sehen wir uns wieder
in Reichenhof beim Baden dort.
Ach, käm die Zeit noch einmal wieder,
doch Jugend ist für immer fort.
Es wär auch schön, könnten wir heute
uns treffen an belieb'gen Ort,
uns wiedersehn als alte Leute.
Doch Wiedersehn wird's nie mehr geben.
Ich hör das Lied vom Morgenrot.
Der Krieg, der nahm ihr junges Leben,
und keiner dachte wohl an Tod.

Ein recht beliebtes Wanderziel
für Jugendliche jener Tage,
ein Ort so ruhig und so still
im Wald in Nähe Holzablage,
das war der Hochstand. Wißt ihr doch!
Ob's ihn noch gibt? Steht er verwaist?
Zu ihm würd gern ich einmal noch
mit der Begleiterin von einst.
Schließ ich die Augen, seh ich sie,
ein Mädchen jung und schön.
Wir sind verliebt wie vorher nie.
So soll es mit uns weitergehn.
Es ging nicht weiter mit uns beiden.
Der Krieg, der hat zerstört so viel,
hat aufgebürdet viele Leiden,
Menschen verjagt mit fremdem Ziel,
hat uns die Heimat weggenommen,
Kontakte hat er abgerissen,
man konnt nicht mehr zusammenkommen.
Wie schwer war's mir, sie zu vermissen.
Rücksichtslos ist das Schicksal eben,
kein Weg zu sehen, der uns vereinte.
Ich mußte mit dem Schicksal leben,
auch wenn das Herz im stillen weinte.

Ich sehe einen Baum noch stehen,
den habe ich niemals vergessen.
Er war so prächtig, groß und schön.
Zu Brennholz wurd er unterdessen.
So gut gewachsen Ast für Ast,
der mächt'ge Stamm so gerade,
Symbol des Dorfes war er fast.
Nun wächst ein mickriger Ersatz
an seiner Stelle. Schade!
Nun wollt ihr wissen, welcher Baum
ein solches Schicksal wohl erlitt?
Die Kastanie mein ich hinterm Zaun
im großen Garten von Frau Schmidt.
Die sah ich viele Male täglich,
morgens, wenn es zum Bahnhof ging,
mittags, wenn ich zurückkam fröhlich,
dann, wenn sich unser Freundesring
traf, nun nach Reichenhof zu fahren,
wo wir viel Freizeit zugebracht
in allen jenen Schüerjahren.
Immer vorbei an diesem Baume
führten fast alle Wege mich.
Nun steh ich da und guck und staune.
Der Baum ist weg. Wie fürchterlich.

Puschdorf?
aus weiter Ferne tönt der Sang.
Es heißt ja Puschkarewo heute.
Fremder Name, fremder Klang,
fremde Sprache, fremde Leute.
Puschdorf, das ist Vergangenheit.
Ja nur noch lebt es. Doch wie lange?
Puschdorfer sein, das gibt's noch heut.
Wieviele sind's noch, frag ich bange.
Und dann? Wird dann noch Puschdorf leben?
Das glaub ich nicht. Wie sollt es, nein.
Nur Puschkarewo wird's noch geben.
Mit uns, die wir aus Puschdorf kamen,
wird Puschdorf auch begraben sein.